Nach der Sprache kommt die Arbeit
Nach der Sprache kommt die Arbeit | Bild von u_i39qapi62o auf Pixabay

Nach der Sprache kommt die Arbeit

Nach der Sprache kommt die Arbeit. Wie ergeht es Menschen, die in Münster Asyl beantragen und versuchen, Fuß zu fassen?

Nach der Sprache kommt die Arbeit: Im Jahr 2015 kamen vermutlich mehr als eine Millionen Menschen nach Deutschland, über 440 000 stellten einen Asylantrag. Im Frühjahr kamen die Menschen zumeist vom Balkan, ab September vermehrt aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Die Asylbewerber sind größtenteils männlich und bis 30 Jahre alt.

Farid Akram (Namen der Familie geändert) ist heute 33 Jahre alt, stammt ursprünglich aus Afghanistan und kam 2015 mit seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Deutschland.

Als Kind floh er bereits in den Iran. Dort machte er einen Schulabschluss und absolvierte eine Ausbildung im Bereich der Elektronik. Im Iran hatte er ein Handygeschäft. Dann war er wieder in Afghanistan. Bevor er nach Deutschland kam, war er mit seiner Frau wieder im Iran. „Ich war mein ganzes Leben lang auf der Flucht.“ Über Wien kam seine Familie mit dem Bus nach Deutschland.

Seine Tochter Nesrin, damals zwei Jahre alt, war krank. Sie wurden von der Bundespolizei aus dem Bus gebeten und zu einer Registrierungsstelle gebracht. Als die Beamten vor Ort das kranke Mädchen sahen, wurde Farid mit seiner Familie an den wartenden Menschen vorbeigeführt und in einen separaten Raum gebracht. Dort nahmen sich Ärzte und andere Helfer seiner Tochter an. Farid kommen die Tränen, als er von diesem Augenblick berichtet: „Für mich war in diesem Moment wichtig zu erleben, welchen Respekt es vor Menschen geben kann.“

Zwischen Ehrenamt und Bürokratie

Über mehrere Umwege kam Farid dann mit seiner Familie nach Münster-Hiltrup. Dort leitet Magdalene Faber die Stadtteilbücherei. Sie lebt dort seit 36 Jahren und ist maßgeblich mit verantwortlich dafür, dass sich aus einer Initiative einiger Jugendlicher des Ortes heraus das Flüchtlingsnetzwerk Hiltrup gründete. 2015 wuchs die Bereitschaft der Menschen zu helfen. Das Problem war, wie die Spenden- und Hilfsbereitschaft mit den Suchenden zusammengebracht und koordiniert werden kann. So entstand das überparteiliche und überkonfessionelle Netzwerk. Mehrere hundert Menschen beteiligen sich.

„Ein großes Problem ist die Amtsbürokratie in Deutschland“, sagt Frau Faber. Allerdings mache sie auch sehr positive Erfahrungen bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit: „Egal wo ich anrufe und sage, dass mein Anliegen für Geflüchtete ist, stoße ich auf große Hilfsbereitschaft.“ Für Faber ist das Ziel ihres Engagements im Netzwerk ganz klar eine Frage der Integration: „Wenn die Menschen in ihrer Funktion wahrgenommen werden und nicht mehr als Geflüchtete.“ Auf diesem Weg unterstützt das Flüchtlingsnetzwerk Hiltrup die Menschen.

Zuhause und daheim?

Vor zwei Wochen ist Farid mit seiner Familie umgezogen. Die Wohnung befindet sich im ersten Stock eines unscheinbaren Hauses in einem anderen Stadtteil nahe Hiltrup. Die Wohnung ist einfach, aber wohnlich. Im Wohnzimmer liegt ein großer Teppich mit gedeckten Farben auf dem Boden. Die eine Wand ist mit einer Tapete in Holzoptik versehen. Eine braune Couch steht an der Seite, das Zimmer hat eine leichte Dachschräge.

In der Mitte ist ein Tisch, der mit seiner roten Tischdecke einen Farbtupfer ins Wohnzimmer bringt. Auf einem Regal an der Wand steht der Schriftzug „Family“. Die Schränke sind zumeist noch leer. Farids Sohn Amir, neun Jahre alt, und seine Tochter Nesrin, die demnächst fünf wird, streiten sich. Samira, Farids Frau, stellt Tee und Kuchen auf den Tisch, dann nimmt sie Nesrin auf den Arm.

Farid kommt ins Wohnzimmer und setzt sich auf das Sofa. Er blickt zu seinen Kindern und sagt, dass ein Kind genauso in eine Gesellschaft hinein integriert werden müsse wie ein Geflüchteter. Er denkt dabei an seinen Sohn, der in die Schule geht. Die Frage nach Integration hänge dabei nicht allein an der Frage nach dem Herkunftsland. „Die Gesellschaft ist wie ein Fluss und wächst immer weiter.“ Es gehe darum, die Gepflogenheiten des Landes und der Gesellschaft zu verinnerlichen. „Diese Regeln einzuhalten, ist für uns alle ein muss.“

Ende vergangenen Jahres war Farid zur Anhörung bei Gericht. Er wollte zwei Sätze selbst auf Deutsch sagen. Der Richter überfuhr ihn plump mit den Worten, dass es hier nicht um seine Deutschkenntnisse gehe. Das traf ihn wie ein Faustschlag ins Gesicht. Er wollte in diesem Moment nichts beweisen, sondern selbst Verantwortung übernehmen und dabei niemanden für ihn sprechen lassen. In dieser Zeit spielte er mit dem Gedanken, nach Afghanistan zurückzukehren. Er war längere Zeit krankgeschrieben.

Nach der Sprache kommt die Arbeit

Die Schutzquote (Anerkennung als Flüchtling oder Asylberechtigter, Gewährung von subsidiären Schutz, Feststellung eines Abschiebungsverbots) bei Asylentscheidungen zu Geflüchteten aus Afghanistan lag 2015 bei etwa 48 Prozent. 2017 fiel diese Quote auf ca. 44 Prozent zurück. Die Wartezeit bei Anträgen von Menschen aus Afghanistan zu Asylentscheidungen betrug im Jahr 2015 im Durchschnitt 14 Monaten.

Farid wollte dann einfach nicht mehr krank sein. Er bat seinen Arzt, ihn nicht weiter krankzuschreiben. Er setzt nun seinen B2-Deutschsprachkurs fort. Bis Anfang 2021 hat Farid mit seiner Familie eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland. Bis dahin will er einen Beruf erlernen und einen Job finden. Für die ferne Zukunft wünscht er sich, dass er es nicht bereuen wird, nach Deutschland gekommen zu sein.

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